100 Jahre - Digitaler Stationenweg
Was wurde da vor 100 Jahren gebaut? Überblick gibt es auf der Karte ganz unten.
Bilder und Fassung von Stefan von Bergen.
Station 1
Neubrückstrasse 70
Was wuchs denn da einst für ein Wäldchen?
Oben auf dem Bierhübeli beginnt auf dem Foto aus dem Jahr 1914 noch das Land. Ein paar wenige Häuser säumen die Neubrückstrasse. Wo die Engestrasse abzweigt, wachsen die Bäume im Park des verborgenen Diesbachguts. Während in der Länggasse weiter westlich fieberhaft Bürogebäude, Fabriken, Villen oder Arbeiterhäuser gebaut werden, die sich zu einem Stadtquartier ballen, scheint im idyllischen Brückfeld die Zeit stillzustehen. Auf dem nahen Neufeld gibt es bloss Familiengärten und Kartoffelfelder.
Vor 100 Jahren aber holt die wachsende, nach Wohnraum gierende Stadt auch das Bierhübeliplateau ein. 1919 kauft der Verband der Schweizer Eisenbahn- und Schiffahrts- angestellten das Diesbachgut. Er hat grosse Pläne. Den Park des Diesbachguts teilt er in 16 Parzellen auf und beauftragt den jungen Burgdorfer Architekten Walter von Gunten (1891-1972) mit einer Wohnüberbauung. 1924 ist der vierstöckige Wohnblock mit über 70 Vierzimmerwohnungen vollendet. Kein neuer Wohnbau ist damals in der Stadt Bern grösser. Er erhebt sich gegenüber vom Bierhübeli wie ein vor Anker gegangener Ozeandampfer. Der von-Gunten-Block ist eine Stadt im Kleinen, er verwandelt das Brückfeld in ein Stadtquartier.
Station 3
Neubrückstrasse 70-84
Wie viele Fenster hat der von-Gunten-Wohnblock?
Blickt man von der Bäckerei Sterchi auf die lange Schaufassade des 100-jährigen Wohnblocks gegenüber, zählt man dort in den 24 Arkadenbogen im Parterre 20 Schaufenster, dann auf vier Stockwerken je 40 Fenster, dazu im Dachgeschoss 16 schmale Fenster und acht Fenster in den Dachlukarnen. Total sind das nicht weniger als 164 Fenster. Architekt von Gunten führt auf der vollen Länge der Schauffassade an der Neubrückstrasse ein grosses Symmetrie- theater auf. Nicht nur die Fenster, sondern auch Lukarnen, Balkone, Medaillons und zwei Dachtürmchen sind symmetrisch angeordnet. Die gebogenen Schaufenster der Ladenareale im Parterre erinnern an die Bögen der Lauben in der Berner Altstadt.
Auf dem Foto von 1914 ist die Neubrückstrasse noch eine Landstrasse. Mit seiner Laden- und Fensterfront und einem breiten Trottoir davor aber hat Architekt von Gunten die Strasse vor 100 Jahren in eine urbane Flaniermeile verwandelt. Kein Wunder findet in dieser Begegnungszone seit 2021 alljährlich das Neubrückstrassenfest statt.
Station 6
Neubrückstrasse 114/Riedweg 2
Was hat dieses Bauernhaus in der Stadt verloren?
Auf der Foto aus dem Jahr 1913 sieht es am Abzweiger des Riedwegs noch aus wie auf dem Land. Keine Stadt weit und breit, dafür ein kleines Bauernhaus. Aber nur ein Jahr später pirscht sich von hinten die Stadt an. Für die Landesausstellung wird das Brückfeldtram auf zwei Spuren verbreitert und verlängert. Die städtische Infrastruktur ist schon da, bald folgen auch die Häuser, das kleine Bauernhaus muss weichen. Vor 100 Jahren sind die drei Doppelwohnhäuser der Architekten Gottfried Schneider und Hans Hindermann an der Neubrückstrasse 114 bis 122 vollendet.
Es ist die erste Bauetappe einer ganzen Gartenstadt-Überbauung im Engeried. Bis hier hinaus verlegt ein Urbanisierungsschub vor 100 Jahren den Rand der Stadt. Noch heute hört sie hier auf. Die grosszügigen Häuser an der Neubrückstrasse sind bis 1924 zum Brückfeld zusammengewachsen. Das noble Mittelstandsquartier hebt sich ab von der proletarischen hinteren Länggasse mit ihren Fabriken und Arbeitersiedlungen.
Station 7
Neubrückstrasse 114-122
Sind alle drei Häuser identisch? Finde die Unterschiede
Das unterste der drei Doppelhäuser an der Neubrückstrasse 114 und am Randweg 2, dem das kleine Bauernhaus weichen musste, tanzt aus der Reihe. Seine Seitenwände erheben sich senkrecht, während sich bei den anderen zwei Wohnhäusern ein bauernhausartiges Walmdach wegbückt. Am Randweg 2 gibt es gab er einen seitlichen Anbau, der bei den anderen Häusern fehlt. Die Architekten Schneider und Hindermann dürften zuerst die beiden oberen Doppelhäuser gebaut haben, das dritte Haus am Abzweiger des Riedwegs variierten sie dann.
Es spricht für die Raffinesse der drei Bauten, dass sie mehr scheinen, als sie sind. Schneider und Hindermann betteten die Häuser in grosszügige Gärten ein, die durch die Verkehrsberuhigung von 2009 noch eine Neubelebung erfuhren. Die Wohnhäuser vorne an der Neubrückstrasse haben aber ein eher bescheidenes Volumen und durchschnittliche Zimmergrössen. Es gibt repräsentativere Bauten im Brückfeld. Gebaut wurden die Doppelhäuser kurz vor und in der Weltwirtschaftskrise überdies aus einfachen Materialien – aber durchaus solid, weil Berner Handwerksfirmen sie als Wertanlage für die Krise erstellten.